Kommunikation

Grundsätzliches

Kommunikation ist eine der größten Herausforderungen für Menschen im Autismus-Spektrum. Kommunikation ist immer eine Mischung aus Worten, Stimme, Mimik, Gestik und Körpersprache. Sie kann nur gelingen, wenn neben den Wörtern auch die anderen Aspekte erkannt und verstanden werden. Ansonsten erreicht ein Teil der Botschaft den Empfänger nicht. Nicht-Autisten gelingt in der Regel die Entschlüsselung all der gleichzeitig gesandten Aspekte von Kommunikation. Somit sind bei den Nicht-Autisten die Chancen groß, dass die gesendete Botschaft beim Empfänger ankommt und umgekehrt auch eine gesendete Botschaft vom Gegenüber verstanden wird.

Und bei den Autisten?

Gerade im Bereich Kommunikation kommen viele Aspekte zusammen, mit denen Menschen im Autismus-Spektrum Schwierigkeiten haben. Die Reizfilterschwäche lässt das gesprochene Wort nur schwer erkennen in der Fülle der Geräusche, die gleichzeitig wahrgenommen werden. Die fragmentierte Wahrnehmung führt zum einen dazu, dass das Gesicht nicht vollständig wahrgenommen wird, was das Lesen der Mimik erschwert. Dasselbe gilt für die Körpersprache, wenn nur ein Teil des Körpers wahrgenommen werden kann. Auch die gesprochenen Wörter kommen nicht immer vollständig beim autistischen Empfänger an. Aus diesen Bruchstücken der Kommunikation, die den Autisten erreichen, setzt dieser dann die Botschaft zusammen. Hier wird die Fehleranfälligkeit schnell deutlich.

„Ich habe viele Wörter nur fragmenthaft verstanden und entsprechend nur ’so ungefähr‘ wiedergeben können.“

Nicole Schuster

Was kann helfen?

Eine gute Hilfe ist die Reduktion der gesendeten Signale. Wenn der Nicht-Autist sagt, dass er sich freut oder ärgert, muss der Gesichtsausdruck nicht entschlüsselt werden. Gespräche werden am besten in einer ruhigen, reizarmen Umgebung geführt.
Um eine Konzentration auf das gesprochene Wort zu erreichen könnten sich die Gesprächspartner nebeneinander setzen anstatt gegenüber. Mimik und Körpersprache müssen nicht mehr entschlüsselt werden, es bleiben mehr Anteile der Wahrnehmung für die Wörter übrig. Kurze, klare Sätze sind einfacher zu verstehen als lange Schachtelsätze. Als Orientierung kann hier dienen, dass für Menschen im Autismus-Spektrum Kommunikation mit Nicht-Autisten wie das Erlernen einer Fremdsprache empfunden wird.
An wichtigen Stellen des Gespräches sollten beide Gesprächspartner immer wieder zusammenfassen, was sie bisher verstanden haben und klären, ob das auch der Inhalt ist, der vermittelt werden sollte.
Auf keinen Fall sollte die Antwortfindung eines Autisten unterbrochen werden. Es kann manchmal ziemlich lange dauern, bis die Gedanken sortiert, die Wörter gefunden sind, um die Antwort auszudrücken und dann auch noch die richtigen Signale gesandt werden, damit der Mund die korrekten Wörter formt und ausspricht. Sofern dieser Prozess unterbrochen wird, muss der autistische Mensch ihn meistens wieder ganz von vorne beginnen, ein Anknüpfen an einen Zwischenschritt gelingt selten. Im ungünstigsten Fall wird der Autist in dem Moment auch keine Möglichkeit mehr haben, auf seinen Gedanken zurückzugreifen.
Wenn ein Autist bittet, Gesagtes zu wiederholen, dann tut er das in der Regel, um die ihm noch fehlenden Bruchstücke der Aussage wahrzunehmen. Deshalb ist es sehr wichtig, möglichst wortgetreu zu wiederholen, was gerade gesagt wurde. Das muss in der Regel nicht lauter, deutlicher oder in anderer Weise betonter erfolgen. Sofern das Gegenüber andere Wörter wählt, den Sachverhalt auf andere Weise darstellt oder zu weitergreifenden Erklärungen greift, hat der Mensch im Autismus-Spektrum meistens keine Möglichkeit mehr, die Aussage zu verstehen, weil er davon ausgeht, dass über ein neues Thema gesprochen wird.

„Wenn ich ‚rund‘ sage, dann meine ich ‚rund‘ im Gegensatz zu ‚eckig‘ und ich meine damit nicht synonym ‚dick‘, klar? Ich habe vielleicht das falsche Wort gewählt, aber ich habe nicht inhaltlich was Falsches gesagt.“

Matthias Brien

Sprachentschlüsselung in vielerlei Hinsicht

Wortwörtlich

Viele Autisten verstehen Sprachnachrichten wortwörtlich. Es fällt ihnen schwer oder ist unmöglich, Witz, Ironie, Sprachbilder oder ähnliches zu erkennen und zu entschlüsseln. Manche Menschen im Autismus-Spektrum lernen Sprichwörter auswendig und wenden sie dann an, wenn sie der Meinung sind, es könnte passend sein. Das klappt meistens recht gut, gelingt aber nicht immer. Und nicht jeder Autist kann oder will die zahlreichen Sprichwörter auswendig lernen. Es vereinfacht die Kommunikation, wenn die Nicht-Autisten auf uneindeutige Formulierungen verzichten oder die Übersetzung gleich dazusagen.

„Redewendungen waren für mich oft ein Rätsel, das man mit normalen Lösungsansätzen nicht aufschlüsseln konnte. So nahm ich sie fast immer wörtlich und verstand selten den Sinn.“

Daniela Schreiter

Was ist in den Köpfen der anderen?

Autisten haben Schwierigkeiten, das Denken und Empfinden anderer wahrzunehmen, sich hineinzuversetzen und es zu begreifen, selbst wenn sie als „hoch-funktionsfähig“ gelten. Soziale und emotionale Signale sind für Menschen im Autismus-Spektrum schwer einzuschätzen. Auch das Aussenden eigener emotionaler Signale fällt vielen Autisten schwer. Wenn solche Signale ausgesendet werden, gelingt dies nicht immer in einer Form, wie sie die Umwelt erwartet. Zusätzlich sind die Anpassung des eigenen Verhaltens an soziale Situationen und die Reaktionen auf Gefühle anderer Personen häufig nicht angemessen. Autisten fällt es schwer, sich in die Gedankenwelt anderer hineinzuversetzen. Dies wird als fehlende oder schwach ausgeprägte „Theory of Mind“ bezeichnet.

Pronomen

Personal- und Possesivpronomen, also Wörter, die an Stelle eines Hauptwortes stehen und sich auf eine Person oder Besitzstände beziehen, sind unterschiedlich, je nachdem, von welchem Standpunkt aus sie verwendet werden. Ein Beispiel macht dies deutlich. Wird Paul gefragt: „Bist du hungrig?“, antwortet er: „Ich bin hungrig.“ Selbstverständlich ist in beiden Fällen Paul gemeint, aber einmal wird dies durch „du“ ausgedrückt und im anderen Fall durch „ich“. Diese Übertragung kann Autisten schwerfallen, weshalb es helfen kann, in Situationen, in denen die Kommunikation sehr holprig ist, diesen Wechsel der Pronomen wegzulassen und zu fragen: „Ist Paul hungrig?“ Die Antwort könnte dann lauten: „Paul ist hungrig.“ So wird transparenter, von wem die Rede ist, und die Anstrengung, den Perspektivwechsel vorzunehmen, entfällt. Die Aufmerksamkeit kann dann beim eigentlichen Inhalt der Frage und der Antwort liegen, in der ja herausgefunden werden soll, ob Paul Hunger hat und nicht, wer „du“ oder „ich“ ist.
Auch wenn es um besitzanzeigende Fürwörter geht, ist dieses Vorgehen sinnvoll. Hier kann es noch verwirrender werden. „Das ist mein Hund.“, sagt Paula. Die Aussage: „Das ist ihr Hund.“ kann sowohl bedeuten, es ist Paulas Hund oder es ist der Hund von Paulas Familie. Um Missverständnissen vorzubeugen und die Energie der Autisten zu schonen, könnte hier versucht werden, immer eindeutig zu sprechen, also: „Das ist Paulas Hund.“ oder „Das ist der Hund von Paulas Familie.“.
Gerade derartige scheinbare sprachliche Kleinigkeiten, die die meisten Nicht-Autisten ohne weiteres Nachdenken, also quasi automatisch fehlerfrei kommunizieren, sind für Autisten mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Diese Energie steht dann nicht mehr für den vielleicht wichtigeren Teil der Kommunikation zur Verfügung oder er fehlt für andere Aktivitäten.

„Zu Fragen verhielt ich mich ganz konkret. ‚Kannst du …?‘ beantwortete ich mit einem ‚ja‘ und das bedeutete, ‚ja, ich kann …‘. Daß es aber auch ‚ich will …‘ oder ‚ich werde …‘ bedeuten konnte, war mir ganz fremd.“

Gunilla Gerland

In die eine und in die andere Richtung

Alles, was zum Thema Kommunikation gesagt wurde, gilt sowohl, wenn die Autisten die Sender als auch, wenn sie die Empfänger einer Nachricht sind. Gerade als Sender einer Nachricht werden Autisten immer wieder als sehr direkt, undiplomatisch, und faktenzentriert beschrieben. Dabei versuchen sie in der Regel nur, den zu kommunizierenden Inhalt klar, kurz und prägnant darzustellen. Schmückendes, Abmilderndes, was nicht zum Transport des eigentlichen Inhaltes beiträgt, wird weggelassen. So bleibt der Fokus auf dem Wesentlichen, was den Menschen im Autismus-Spektrum die Kommunikation erleichtert. Für Nicht-Autisten ist dies eine ungewohnte Kommunikationsform. Wenn sie sich allerdings klarmachen, dass es keinesfalls um Konfrontation oder um Gefühlskälte geht, sondern um den Versuch, etwas mitzuteilen, kann es gelingen, sich auf die unverblümte Aussage einzulassen und Kommunikation auf einer sachlichen, knappen Ebene zu führen.
Schwierigkeiten bestehen für Autisten nicht nur beim gesprochenen Wort, sondern auch bei Geschriebenen. Hier ist es allerdings insofern einfacher, als dass der Zeitpunkt der Antwort bei geschriebenen Nachrichten frei gewählt werden kann. Wörter können in der Bedeutung nachgeschlagen oder erfragt werden. Eine Antwort kann formuliert und zu einem späteren Zeitpunkt nochmals geändert werden. Es besteht die Möglichkeit, sich Hilfe zu holen für die Formulierung der schriftlichen Nachricht.
Es gibt Autisten, die lieber schriftlich kommunizieren und andere, die lieber ein Gespräch führen. Im Idealfall haben sie bei beiden Formen der Kommunikation einen „Dolmetscher“ an der Seite, der die Kommunikationsfallen kennt und unterstützend für beide Seiten tätig werden kann.

„Ich sagte immer genau das, was ich meinte, weder mehr noch weniger. Daß die anderen das nicht taten, war sehr verwirrend.“

Gunilla Gerland

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kommunikation eine dauernd bestehende Herausforderung für Menschen im Autismus-Spektrum ist, die mal besser und mal weniger gut gemeistert wird. Sofern das Umfeld klar, geduldig und möglichst eindeutig kommuniziert und gegenseitig immer wieder kontrolliert wird, ob beide noch über die gleiche Sache reden, kann Kommunikation von und mit Autisten immer besser gelingen.

Nordbaden-Pfalz e.V.