Beruf & Arbeit

Erwartungen

Für Menschen im Autismus-Spektrum ist die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ohne Hilfestellung meistens schwierig oder unmöglich. Selbst bei einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung oder nach einem Studium sind die Fertigkeiten, die neben dem Fachwissen im Berufsalltag erwartet werden, von vielen Autisten nicht zu erfüllen. Diese Fertigkeiten werden in der Regel nicht benannt, weil sie von den meisten Nicht-Autisten intuitiv erlernt wurden und damit keine Notwendigkeit besteht, sich diesen bewusst zu werden. Sie werden also generell von allen Menschen erwartet. Und genau hier liegen die Schwierigkeiten, die Menschen im Autismus-Spektrum haben.

Vorstellungsgespräche

Selbst wenn es gelungen ist, eine Bewerbung zu schreiben und einen Termin zu einem Vorstellungsgespräch zu bekommen, treten spätestens hier die autistischen Besonderheiten zu Tage. Während im fachlichen Bereich alle Fragen in der Regel schnell und umfassend beantwortet werden können, werden die „weichen“ Fragen kurz, direkt und häufig sehr einsilbig beantwortet – genau so, wie es dem Kommunikationsstil vieler Autisten entspricht. Bewerbungsgespräche dienen normalerweise aber dazu, den Bewerber als Mensch einzuschätzen. Die fachlichen Qualifikationen lassen sich aus den vorgelegten Zeugnissen ablesen.
Hier wäre es hilfreich, wenn eine Begleitperson beim Vorstellungsgespräch dabei sein könnte, die die Herausforderungen in der Kommunikation für beide Seiten glättet. So könnte sich der potentielle Arbeitgeber ein realistischeres Bild des Bewerbers machen. Derartige Nachteilsausgleiche sind heute noch nicht üblich, werden sich künftig jedoch hoffentlich durchsetzen.

„Als Autist lebe ich trotz aller Inklusion immer in einer Gemeinschaft, deren Regeln und Strukturen sich mir nicht automatisch und einfach offenbaren.“

Gee Vero

Eingliederungshilfe im Beruf

Manchen Menschen im Autismus-Spektrum reicht die Unterstützung, die sie im Familien- und Freundeskreis bekommen, um insbesondere bei den Bewerbungen und bei späteren Fragen, die im Arbeitsalltag auftauchen, zurechtzukommen.
Zur Teilhabe am Arbeitsleben sind viele Autisten jedoch auf Unterstützung und Förderung im Rahmen der Eingliederungshilfe angewiesen. Hierzu sagt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dass jeder, der wesentlich behindert ist, einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Die Eingliederungshilfe soll die Menschen mit Behinderung, also auch Menschen im Autismus-Spektrum, dazu fähig machen, ein weitgehend selbständiges Leben zu führen. Hierzu gehört vor allem die Ausübung eines angemessenen Berufes.

Individueller Bedarf

Da jeder Mensch spezielle Neigungen und Fähigkeiten hat, gibt es keine allgemeine Beschreibung der Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen, die benötigt werden. Hier gilt es, die jeweiligen Bedürfnisse genau zu benennen und dann darauf abgestimmte Maßnahmen umzusetzen. Diese Maßnahmen können sich im Laufe des Lebens auch verändern. In diesen Fällen erfolgt eine Anpassung der Leistungen der Eingliederungshilfe.

In der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)

Für manche Menschen im Autismus-Spektrum ist eine WfbM der Ort, an dem sie in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können. Hier ist im Eingangsverfahren oder im Berufsbildungsbereich der WfbM auch eine – zumindest zeitlich befristete – Unterstützung nur für den jeweiligen Autisten möglich, wenn es gute Aussichten auf die spätere Eingliederungen im Arbeitsbereich gibt.

Im Betrieb

Wenn in einem Unternehmen ein Mensch aus dem Autismus-Spektrum beschäftigt wird, ist es wichtig, dass dem Anderssein positiv begegnet wird und gemeinsam Wege gesucht werden, um auf die besonderen Bedürfnisse des autistischen Kollegen Rücksicht zu nehmen.
Ein ruhiger, reizarmer Arbeitsplatz ist hilfreich. Außerdem sollte eine Unterbrechung der Arbeit des autistischen Kollegen vermieden werden. Fragen oder Anliegen können beispielsweise per E-Mail mitgeteilt werden, so dass der Autist den Zeitpunkt, zu dem er sich damit beschäftigt, selbst bestimmen kann.
Klare Arbeitsanweisungen helfen, die zu erledigende Aufgabe zu verstehen. Generell unterscheidet sich die Kommunikation mit dem autistischen Kollegen, von der, die die Nicht-Autisten untereinander gewohnt sind. So sollten alle darüber informiert sein, dass es Autisten häufig schwerfällt, Blickkontakt zu halten. Damit drücken sie keine Gleichgültigkeit oder gar nicht vorhandenes Interesse aus, sondern es ist häufig ein Weg, besonders intensiv und konzentriert zuzuhören.
Auch das wortwörtliche Verstehen von Dingen, die zu Autisten gesagt werden, kann zu Missverständnissen führen. Vielen Menschen im Autismus-Spektrum fällt es schwer, „zwischen den Zeilen“ zu lesen oder zu verstehen. Sie bevorzugen eine kurze, klare Kommunikation. Und im Zweifelsfall ist es immer hilfreich, nachzufragen, ob die gesendete Botschaft auch korrekt angekommen ist – auf beiden Seiten.
Viele Autisten, die in Unternehmen arbeiten, wünschen sich eine Person, die sie jederzeit ansprechen können. Wichtig ist dabei, dass alle Anliegen zur Sprache kommen können, vor allem auch solche, die von Nicht-Autisten intuitiv richtig gemacht werden. Hier bestehen immer wieder Unsicherheiten, die in einem kurzen Gespräch geklärt werden können. Diese Person kann auch unterstützen bei Kommunikationsschwierigkeiten der Kollegen mit dem Autisten. Hierbei ist es unerheblich, auf welcher Seite die Unklarheiten entstanden sind.

„Denn autistische Menschen haben nicht selten ausgeprägte Stärken, die allerdings von den im Vordergrund stehenden emotionalen Schwächen wie Schmutz auf einer Scheibe verd(r)eckt werden.““

Peter Schmidt

Selbständigkeit

Manche Menschen im Autismus-Spektrum haben einen Beruf erlernt, der es ihnen ermöglicht, als Selbständiger zu arbeiten. Dies hat den Vorteil, dass die Arbeitszeiten selbst festgelegt werden und so an die individuellen Bedürfnisse des Autisten – weitgehend – angepasst werden können.
Auch das Arbeitsumfeld lässt sich so einrichten, dass ein konzentriertes Arbeiten möglich ist. Allerdings sollte mit den Autisten, die als Selbständige arbeiten, festgelegt werden, in welchem Umfang das Arbeiten sinnvoll und erforderlich ist und wann die nötigen Pausen und vor allem auch der Feierabend gemacht werden können. Wenn hier eine gute Balance gefunden wird, kann dies ein guter Weg der Integration in den Arbeitsmarkt sein.
Wichtig ist auch zu erkennen, ob und in welchem Umfang die Menschen im Autismus-Spektrum in der Selbständigkeit Unterstützung im Umgang und der Korrespondenz mit den Behörden und Ämtern benötigen.

Nachteilsausgleiche

Wenn Menschen im Autismus-Spektrum arbeiten und einen Schwerbehindertenausweis besitzen, können ihnen Nachteilsausgleiche gewährt werden, z.B. mehr Urlaub und Kündigungsschutz.

Fazit

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung haben nicht alle Autisten besondere Fähigkeiten oder auch nur ein Interesse am IT-Bereich. Vielmehr haben Menschen im Autismus-Spektrum genauso vielfältige Interessen und Fertigkeiten wie Nicht-Autisten. Grundsätzlich können Autisten in vielen Berufen arbeiten, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Dann gibt es für alle die Chance, die Zusammenarbeit als Bereicherung zu erleben.

„Nehmen Sie autistische Menschen so an, wie sie sind. Inklusion gibt es zum Nulltarif, denn Verständnis, Toleranz und Akzeptanz kosten kein Geld.“

Gee Vero
Nordbaden-Pfalz e.V.