Geschwister

Das Familienleben mit autistischen Kindern gestaltet sich anders als in „normalen“ Familien. Formen der Kommunikation müssen gefunden werden und eine für alle verträgliche Strukturierung des Alltags. Dabei ist viel Kreativität und Humor hilfreich.

Autist

Wenn ein autistisches Kind ein Geschwister hat, wird es dieses vielleicht nicht von Anfang an als Bereicherung erleben. Ist das autistische Kind das ältere, so sieht es sich nun mit der geteilten Aufmerksamkeit der Eltern für beide Kinder konfrontiert und mit einem kleinen Wesen, das immer wieder sehr laut werden kann. Gewohnte Dinge werden vielleicht anders organisiert in der wachsenden Familie, ein Teil der bisherigen Sicherheit geht für das autistische Kind verloren. Längerfristig kann das autistische Kind eine gute Beziehung zum Geschwisterkind aufbauen und in der alltäglichen Begegnung mit ihm Impulse bekommen, die die Eltern nicht in der Form geben können. Kinder sind untereinander beispielsweise oft sehr direkt in der Kommunikation, was für nicht-autistische Kinder durchaus auch Anlass für Auseinandersetzungen sein kann. Die autistischen Geschwister jedoch können von dieser Kommunikationsform profitieren, weil auf den Punkt gebracht wird, was zu sagen ist und alles „drumherum“ weggelassen wird.
Besonderes Augenmerk sollte auf die Tatsache gelegt werden, dass das ältere autistische Kind von der Entwicklung her meistens von den jüngeren Geschwistern überholt wird, wenn der Altersunterschied nicht allzu groß ist. Hier ist es wichtig, dem autistischen Kind zu zeigen, was es alles gut kann und seine Stärken zu stärken.
Wenn das autistische Kind das jüngere ist, entstehen für das Kind selbst meistens keine besonderen Herausforderungen im Umgang mit seinen Geschwistern, wenngleich diese die Situation eventuell ganz anders betrachten.

„Und natürlich sind wir weder kalt, emotions- oder empathielos! Was für ein Quatsch! Ich zeige nur meine Emotionen meist nicht so überschwänglich oder auf andere Art und Weise, als erwartet.“

Daniela Schreiter

Geschwister

Ältere Geschwister

Ältere Geschwister eines autistischen Kindes erleben nicht nur die nach der Geburt geteilte Aufmerksamkeit der Eltern für alle Kinder, sondern vielleicht auch, dass das autistische Geschwister die Eltern ratlos und eventuell sogar hilflos macht, unterscheiden sich Verhalten und Bedürfnisse des autistischen Kindes doch in der Regel stark von denen der älteren Kinder in der Familie. Hier besteht zudem die Herausforderung, dass zwar meistens relativ früh von den Eltern bemerkt wird, dass das Kind, das später die Diagnose Autismus bekommen wird, anders ist als die älteren Geschwister, aber das Anderssein hat noch keinen Namen. Meistens jedoch fordern diese Kinder von den Eltern viel Aufmerksamkeit, die in der Regel nicht gleichzeitig den älteren Geschwistern gegeben werden kann. Hilfreich ist hier, wenn das jüngere autistische Kind auch einmal von anderen Personen betreut wird, so dass das oder die älteren Geschwister die ungeteilte Aufmerksamkeit zumindest eines Elternteiles haben. Je älter die Geschwister werden, desto mehr kann an ihr Verständnis für die besonderen Bedürfnisse des autistischen Geschwister appelliert werden. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass auch die älteren Geschwister Kinder und später Jugendliche mit eigenen Bedürfnissen sind. Auch sollte es in Ordnung sein, wenn sie ihren Unmut oder sogar Ärger über das Leben mit dem autistischen Geschwister äußern. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn ältere Geschwister eines autistischen Kindes relativ früh auch eigene Wege gehen und im Freundeskreis und der eventuell vorhandenen Verwandtschaft relativ viel Zeit verbringen. Zum einen schaffen sie damit etwas Abstand zum anstrengenden Alltag zu Hause und zum anderen erleben sie unbeschwerte Stunden mit anderen, was in der eigenen Familie vielleicht nicht ganz so häufig möglich ist, weil die Bedürfnisse des autistischen Kindes im Vordergrund stehen.

Jüngere Geschwister

Sind die Geschwisterkinder jünger als ihr autistisches Geschwister, werden sie die Besonderheiten erst nach und nach entdecken, die der Alltag mit dem Autisten mit sich bringt. Sobald sie anfangen, das ältere, autistische Geschwister nachzuahmen, sollten die Eltern darauf achten, ob das Verhalten, das sich das jüngere Kind abschaut, zu seinem Alter passt und auch, ob es dazu führt, dass das nicht-autistische Kind längerfristig in die Gemeinschaft integriert werden kann. Meistens werden die jüngeren Kinder ihre älteren autistischen Geschwister in einigen Gebieten der Entwicklung überholen, da sie zum Beispiel motorisch geschickter, sprachlich gewandter und im Umgang mit anderen Personen altersgemäß agieren können. Viele der jüngeren Geschwister autistischer Kinder sind für ihr Alter ausgesprochen sozialkompetent, was sich bereits im Kindergarten, spätestens aber in der Schule in der Regel positiv auswirkt.

Fazit

Geschwister eines Autisten zu sein ist immer eine besondere familiäre Situation, die aber keineswegs (nur) als Belastung erlebt werden muss. Vielmehr kann das autistische Geschwister mit der Zeit als Bereicherung wahrgenommen werden. Für die eigene Persönlichkeitsentwicklung wirkt sich der Einblick in die Welt der Autisten und in deren besondere Wahrnehmung und Bedürfnisse in der Regel positiv aus.

„Denn jeder Mensch hat doch das gleiche Ziel: dem Leben über eine Struktur einen Sinn und Werte zu geben. Strukturen geben Halt. Nicht nur autistischen Menschen, sondern allen!“

Peter Schmidt

Eltern

Eltern, die nicht-autistische und autistische Kinder haben, stehen vor einer besonderen Aufgabe. Sie haben ein Kind mit ganz anderen Bedürfnissen, denen häufig auch sofort in ihrem Entstehen Rechnung getragen werden muss und Kinder, die sich „normal“ entwickeln und die in die Gruppe ihrer Altersgenossen integriert werden sollen.
Hier ist es hilfreich, nicht nur in der Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse, sondern auch in der Erziehung Unterschiede zu machen. Manches, was dem autistischen Kind (noch) nicht gelingt, kann vom nicht-autistischen eingefordert werden, wenn es seinem Entwicklungsstand entspricht. Ein Beispiel ist hier das Essen mit Besteck, was dem nicht-autistischen Kind schon gelingt, während das autistische Kind noch Unterstützung braucht oder eventuell noch gar nicht mit dem Besteck umgehen kann. Hier kann eine einfache Aussage: „Du bist Paul und Du isst mit Besteck und das ist Lisa und sie darf mit den Fingern essen.“ die Situation klar beschreiben und zeigen, was vom einzelnen Kind erwartet wird.
Für die nicht-autistischen Kinder ist es wichtig, die Eltern auch immer wieder ganz für sich alleine zu haben. In dieser Zeit sollten die autistischen Kinder gut von anderen Personen betreut sein, so dass keine Störung zu erwarten ist. Auch kleine Rituale, die die Eltern mit ihren nicht-autistischen Kindern im Alltag haben, zeigen diesen, dass sie genauso geliebt werden und genauso wichtig sind wie die autistischen Geschwister, auch wenn immer wieder nicht so viel Zeit für sie bleibt. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt und jede Familie sollte gemeinsam mit den nicht-autistischen Geschwistern herausfinden, wie diese Rituale aussehen können.

„Ich suchte bei niemandem Trost. Das machte ich nicht bewußt, ich kam ganz einfach nicht auf die Idee, daß man das tun könnte.“

Gunilla Gerland

Regeln und Konsequenzen

Den autistischen Kindern in einer Familie helfen klare Regeln und deren konsequente Einhaltung. Und den nicht-autistischen Kindern schaden sie nicht. Es kann zum Beispiel auch für die nicht-autistischen Kinder den Alltag gut strukturieren, wenn das Abendessen zu einem festen Zeitpunkt stattfindet oder eine Erleichterung sein, wenn in der Schule alle Bücher und Hefte im Fach Mathematik rot eingebunden werden.

Nordbaden-Pfalz e.V.