Kindergarten, Schule & Ausbildung

Recht auf Bildung

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt aus, dass jeder, der wesentlich behindert ist, einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat. Die Eingliederungshilfe soll die Menschen mit Behinderung, also auch Menschen im Autismus-Spektrum, dazu befähigen, ein weitgehend selbständiges Leben zu führen. Hierzu gehört vor allem die Ausübung eines angemessenen Berufes. Doch bevor ein angemessener Beruf erlernt und ausgeübt werden kann, steht die Schulbildung. Grundsätzlich besteht also ein Recht auf Bildung und zwar den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend.

Eingliederungshilfe – vom Kindergarten bis zur Ausbildung

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung erstreckt sich über viele Bereiche. Es zählen Leistungen zur sozialen Teilhabe, wie beispielsweise Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt dazu. Oder Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, wie z.B. Fördermaßnahmen im Rahmen der Betreuung in einer Kindertagesstätte. Und auch Leistungen zur Teilhabe an Bildung, wozu Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung und zu einer schulischen oder hochschulischen Ausbildung zählen.

„Ich besaß kein Empfinden dafür, wo meine Arme und Beine waren, wie hätte ich eine Leiter hinunterklettern sollen?“

Gunilla Gerland

Kindergarten

Kinder mit und ohne Behinderungen sollen in Gruppen gemeinsam gefördert werden (§ 22 a Abs. 4 SGB VIII bzw. § 4 Abs. 3 SGB IX). Je nachdem, wie schwer die Beeinträchtigung ist, besteht die Möglichkeit des Besuchs eines Regelkindergartens, eines Inklusions-Kindergartens oder einer heilpädagogischen Kindertagesstätte. Leistungen für Kinder mit Behinderungen sollen so geplant werden, dass sie nach Möglichkeit in ihrem sozialen Umfeld gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können.
Welche Einrichtung für das jeweilige Kind die passende ist, richtet sich nach den Ausprägungen des Autismus bei genau diesem Kind. Es ist sinnvoll, sich frühzeitig die in Frage kommenden Einrichtungen anzuschauen, Gespräche mit den Pädagogen zu führen und dabei herauszufinden, wo das Kind willkommen ist und entsprechend seiner Bedürfnisse gefördert werden kann.
Auch während des Besuchs der Einrichtung ist eine gute Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten hilfreich für das Kind. Sofern es erforderlich ist, kann auch schon im Kindergarten die Begleitung des Kindes durch eine Integrationskraft im Rahmen der Eingliederungshilfe beantragt werden.

„An dieser Stelle sei gesagt, dass jeder autistische Mensch wirklich ein Unikat ist.“

Gee Vero

Schule

In Deutschland gibt es – bis auf wenige Ausnahmen – keine speziellen Schulen für autistische Schüler. Das heißt, viele Autisten, die über eine weitgehend normales Sprachverständnis besitzen und verbal kommunizieren können, besuchen eine Regelschule. Die anderen finden einen Schulplatz meistens in einer Förderschule.

Grundschule

Im Grundschulalter lernen alle Kinder zusätzlich zum Schulstoff noch viele andere Fertigkeiten. Da in der Regel – gerade zu Beginn der Grundschulzeit – die einzelnen Klassen noch keine homogenen Gruppen sind, fallen autistische Schüler nicht zwangsläufig sofort auf. Sofern sich im Laufe der Grundschulzeit herausstellt, dass das autistische Kind zwar den Lernstoff gut bewältigt, jedoch mit sozialen und organisatorischen Anforderungen des Schulalltages Schwierigkeiten hat, sollte über eine Schulbegleitung nachgedacht werden.

„Ehrlich gesagt wäre die Klassenfahrt ohne diese störenden Individuen nicht ganz so anstrengend gewesen!“

Robin Schicha

Weiterführende Schule

Auch in den weiterführenden Schulen werden über den Schulstoff hinausgehende Fähigkeiten erlernt. Die Schere zwischen dem, was die Gleichaltrigen nahezu mühelos intuitiv lernen und den Schwierigkeiten, die autistische Schüler auf diesem Gebiet haben, geht immer weiter auf. Das heißt, die Schwierigkeiten der Schüler im Autismus-Spektrum treten immer deutlicher zu Tage. Auch in der weiterführenden Schule kann ein Schulbegleiter sinnvoll sein.
Es gibt keine allgemeingültigen Regeln, wann der Besuch der weiterführenden Schule für autistische Schüler gut gelingen kann. Hilfreich ist auf alle Fälle, wenn der Rektor und im besten Fall auch das Lehrerkollegium hinter der Beschulung des autistischen Kindes stehen. Hier sind Gespräche im Vorfeld des Schulbesuches sinnvoll, bei denen über die Herausforderungen, die ein Schulalltag für Autisten mit sich bringt, aber auch über die Stärken, die der junge Autist hat, informiert werden kann. Im besten Fall erfolgt die Beschulung nach dem Motto: „Wir sind alle verschieden, aber wir lernen gemeinsam.“

Rat und Unterstützung

In allen Bundesländern gibt es Autismusbeauftragte. Sie sind sowohl für Eltern als auch für Lehrer da. Die Autismusbeauftragten beantworten Fragen und können Tips geben. Die Kontaktdaten sind über die Staatlichen Schulämter auf der jeweiligen Webseite zu finden. Es gibt regionale Zuständigkeiten, die dort ersichtlich sind. Sinnvoll ist es hier immer, wenn Autismusbeauftragte, Eltern und Lehrer einen guten Kontakt zueinander haben.

„In den Pausen hielt ich mich so weit wie möglich abseits und analysierte die Verhaltensweisen um mich herum. Oft offenbarte sich mir aber kein logischer Zusammenhang von Sinn und Zweck.“

Daniela Schreiter

Schulbegleitung

Schüler im Autismus-Spektrum bleiben in der Schule häufig Außenseiter, das sie mit der Schulsituation überfordert sind. Es gilt – neben der Bewältigung des Schulstoffes – mit einer Umgebung zurechtzukommen, die geprägt ist von kommunikativen Situationen, zumindest teilweise vorhandener Unstrukturiertheit und vielem, was ungeplant und unvorhersehbar passiert. Allein die Anwesenheit so vieler Menschen, wie in einer Schule, bedeutet für Schüler im Autismus-Spektrum häufig eine große Anstrengung und kostet viel Kraft. Die Überwachung und Sicherung des Umfeldes beschäftigen die autistischen Schüler oft so, dass eine sinnvolle Teilnahme am Unterricht und an sonstigen Aktivitäten in der Schule nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.

Aufgaben der Schulbegleitung

Nicht-autistische Schüler lernen viele Dinge durch Imitation oder Intuition, insbesondere im kommunikativen, sozialen, zwischenmenschlichen Bereich. Gerade hier haben viele Autisten erhebliche Schwierigkeiten, sie brauchen für einiges eine Erklärung und profitieren von einer direkten Unterstützung. Eine Integrationskraft kann hier am Beispiel der Mitschüler „normales“ Verhalten bewusst machen und Situationen der Einübung dieses Verhaltens schaffen oder nutzen. Dies dient der Verbesserung der Integration der autistischen Schüler in die Gemeinschaft.
Zu den Aufgaben einer Schulbegleitung gehören unter anderem die Organisation des Arbeitsplatzes des Schülers, die Unterstützung beim Aufgabenverständnis, Unterstützung bei der Orientierung auf dem Schulgelände, das Erkennen und Vermeiden von Verweigerungshaltungen oder Überforderungssituationen, die Hilfestellung bei der Zusammenarbeit mit Mitschülern und bei der Kommunikation mit Schülern und Lehrern.
Aufgaben aus dem Kernbereich des didaktisch verantwortlichen Lehrers, wie die Vermittlung, Anpassung, Wiederholung und Vertiefung des Unterrichtsstoffes und die Organisation des Unterrichtsgeschehens für alle Schüler gehören ausdrücklich nicht zu den Aufgaben einer Schulbegleitung. Die Schulbegleitung dient dazu, die Rahmenbedingungen zu schaffen, einen erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen und den autistischen Schüler in die Lage zu versetzen, das pädagogische Angebotes wahrnehmen zu können.

„Im Februar bekam ich eine neue Integrationshelferin. Ich war froh, wieder jemanden zu haben, der mit Sicherheit gab und mich und mein Umfeld zur Ruhe brachte.“

Sascha Dietsch

Rechtliche Grundlage und Antragsstellung

Für Schüler mit Behinderungen, also auch für solche im Autismus-Spektrum sind die Leistungen zur Teilhabe an Bildung in den §§ 75 und 112 SGB IX und § 35 a SGB VIII geregelt. Hier wird festgehalten, dass zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch „Hilfen zu einer Schulbildung […] und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu“ zählen. Konkret wird ausgeführt, dass die Hilfen „auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, [… die] erforderlich und geeignet sind […] den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern“ umfassen.
Ein Antrag auf Bewilligung einer Schulbegleitung als Leistung zur Teilhabe an Bildung kann formlos gestellt werden. Wenn außer dem Autismus keine weitere Behinderung vorliegt, ist der Antrag gemäß § 35 a SGB VIII beim zuständigen Jugendamt zu stellen. Sofern eine Mehrfachbehinderung vorliegt, erfolgt die Antragsstellung gemäß § 112 SGB IX beim zuständigen Sozialamt.

Mit Schulbegleitung in die Schule

Es ist günstig, bereits vor dem Schulbesuch des autistischen Schülers ein gutes Klima zwischen den Lehrern und anderem Fachpersonal und den Eltern herzustellen. Auch wenn es in den letzten Jahren mehr Wissen und Kenntnisse zum Thema „Autismus“ gibt, ist die Beschulung eines autistischen Schülers für viele Lehrer Neuland.
Hier ist es hilfreich, an die Lehrer mit der Bitte um Unterstützung und nicht mit Forderungen heranzutreten. Im Gespräch besteht die Möglichkeit, über Autismus im allgemeinen und über die Ausprägung bei diesem speziellen Schüler zu berichten. Es können Fragen beantwortet werden und auf Wunsch besteht die Gelegenheit, geeignete Broschüren oder Bücher zur Verfügung zu stellen. Auch kann zum Ausdruck gebracht werden, dass die Eltern Verständnis haben für die Mehrbelastung die ein autistischer Schüler für den Lehrer bringt.
Eine solche Mehrbelastung erfahren die Eltern auch in ihrer Elternrolle. Dort erleben sie aber auch die bereichernden Momente, die das Leben mit einem autistischen Menschen mit sich bringt. Und solche Momente wird es auch in der Schule geben, so dass der autistische Schüler als Bereicherung für Mitschüler und Lehrer erlebt werden kann.
Der Sorge vieler Lehrer, eine Schulbegleitung könne das Kind in die Unselbständigkeit führen oder sie dort verharren lassen, kann mit dem Argument begegnet werden, dass erst die Entlastung und Fokussierung durch die Schulbegleitung die Grundlage dafür schaffen, dem Kind eigenverantwortliche und selbständige Schritte zu ermöglichen. Die Hilfe wird nur dort gewährt, wo sie nötig ist. In Situationen, in denen der autistische Schüler etwas zwar kann, aber einfach keine Lust hat, zu tun, was von ihm erwartet wird, wird es auch keine Unterstützung durch die Schulbegleitung geben.
Für die meisten Lehrer ist es ungewohnt, einen weiteren Erwachsenen in der Klasse zu haben. Hier ist es wichtig zu betonen, dass die Aufgaben der Schulbegleitung ausschließlich in den besonderen Bedürfnissen des speziellen Schülers liegen und keineswegs in die Wissensvermittlung und das pädagogische Vorgehen des Lehrers eingreifen. Mit Hilfe der Schulbegleitung wird der Schüler in die Lage versetzt, die pädagogischen Angebote der Schule und der einzelnen Lehrer wahrzunehmen. Außerdem wird eine Ebene geschaffen, wo Kommunikation zwischen dem autistischen Schüler und seinen Lehrern und Mitschülern gelingen kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn es gelingt, die Lehrer „mit ins Boot“ zu holen und die erfolgreiche Beschulung des Schülers im Autismus-Spektrum als gemeinsame Aufgabe zu betrachten, kann die Grundlage für eine gute Schulzeit gelegt werden.

„Es gibt kein Universalwerkzeug, um das Leben mit Autismus einfacher zu machen.“

Gee Vero

Ausbildung

Wie für alle Menschen ist auch für Menschen im Autismus-Spektrum die Wahl des Ausbildungsberufes abhängig von Ihren Interessen und Neigungen. Es gibt keinen Ausbildungsberuf, der für Autisten generell ungeeignet ist.
Grundsätzlich bestehen folgende Möglichkeiten:

  • Betriebliche Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt;
  • Duale Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt;
  • Fachhochschulstudium;
  • Hochschulstudium;
  • Berufsvorbereitende Maßnahmen;
  • Ausbildung im Berufsbildungswerk;
  • Ausbildung im Berufsbildungsbereich einer Werkstätte für behinderte Menschen.

Wenn die autistischen Jugendlichen nach dem Schulabschluss noch nicht in der Lage sind, eine Berufsausbildung zu beginnen, besteht die Möglichkeit einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Diese berufsvorbereitenden Maßnahmen können bei speziellen Anbietern oder in einem Berufsbildungswerk gemacht werden. Hilfreich ist es hier, wenn Kenntnisse über Autismus und Erfahrung im Umgang mit autistischen Menschen vorhanden ist, um den speziellen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Die Ausbildung in einem Berufsbildungswerk erfolgt in anerkannten Ausbildungsberufen nach speziellen Ausbildungsregelungen für Menschen mit Behinderungen.
Auch während des Studiums und der betrieblichen Ausbildung können Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe an Bildung bzw. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden.

„Ich bin überzeugt davon, dass es sich lohnt, weiterhin für ein Miteinander zu kämpfen.“

Nicole Höhlriegel
Nordbaden-Pfalz e.V.