Erziehung
Grundsätzliches
An die Eltern autistischer Kinder stellt die Erziehung ganz besondere Herausforderungen. Diese Kinder haben spezielle Probleme, für die die Eltern Verständnis oder zumindest Erklärungen entwickeln müssen. Hierbei ist viel Empathie und Einfühlungsvermögen hilfreich. Eine Überforderung der Kinder ist zu vermeiden und Dinge, die die Kinder (noch) nicht können, können auch nicht von ihnen verlangt oder erwartet werden. Gleichzeitig haben alle Kinder, also auch die autistischen, ein Recht auf Erziehung. Sie dient dazu, eine Art Korridor zu schaffen, innerhalb dessen sich die gesellschaftlichen Regeln und Normen befinden.
Wie kann Erziehung gelingen?
Struktur und Regeln
Vielen Menschen im Autismus-Spektrum und damit auch autistischen Kindern hilft es, einen klar strukturierten Alltag und eindeutige Regeln zu haben. Diese bilden eine Art Gerüst, an dem sich durch den Tag gehangelt werden kann.
Dies kann auch bei der Erziehung von autistischen Kindern helfen. Gleichzeitig werden die Eltern entlastet, weil auch für sie eine Vorhersehbarkeit geschaffen wird. Sicherlich ist es zunächst mit zusätzlichem Aufwand für die Eltern verbunden, eine Art Stundenplan für den Tag zu erstellen. Auch die klare, eindeutige, immer gleiche Formulierung von Regeln bedeutet eine zusätzliche Aufgabe für die Eltern in einem sowieso schon anstrengenden Alltag. Längerfristig allerdings sind gerade die Strukturen und die Regeln eine Erleichterung für alle Familienmitglieder.
Es kann sinnvoller sein, jeden Tag zur gleichen Zeit das Abendessen fertig zubereitet zu haben als allabendlich aushandeln zu müssen, ob nun essen, lesen, spielen oder etwas anderes an der Reihe ist. Die feste Essenszeit kann je nach Alter des Kindes unterschiedlich visualisiert werden, z.B. mit einem Bild für das Spielen oder den Spaziergang und daneben ein Bild mit einem gedeckten Tisch oder einem Teller mit Besteck. Wenn die Kinder älter sind, kann zunächst eine Uhr abgebildet werden mit dem Zeitpunkt des Abendessens und wenn die Kinder bereits lesen können, kann die Uhrzeit direkt neben das Symbol für das Abendessen geschrieben werden. Auf diese Weise kann das Kind im Laufe der Zeit lernen, dass es Dinge gibt, die zu festgelegten Zeiten erledigt werden und es erfolgt die Gewöhnung an Strukturen und Regeln.
Klare Worte
Nicht-autistische Kinder lernen sehr viel durch Beobachtung und Nachahmung. Es ist nicht erforderlich, jede Regel, jede gesellschaftliche Gepflogenheit im Detail zu erklären. Anders hingegen bei den autistischen Kindern. Es gelingt ihnen meistens nicht, das Muster hinter den Verhaltensweisen zu erkennen, da sie jede Situation als vollkommen neu und unbekannt erleben. Es gibt keine exakt gleichen Situationen und auch geringe Abweichungen werden von Menschen im Autismus-Spektrum als neu erlebt.
Daher sind auch in der Erziehung autistischer Kinder klare, eindeutige Worte, die eine Handlung oder eine Verhaltensweise begleiten oder erläutern, sehr hilfreich. So geben die Eltern dem Kind die Erklärungen, die ihm dabei helfen werden, langfristig Situationssammlungen anzulegen, die jeweils die Chance bieten, so zu reagieren, wie es erwartet wird.
Diese Lernprozesse verlaufen über einen sehr langen Zeitraum, aber wenn es den Eltern gelingt, möglichst häufig derartige Erläuterungen auszusprechen und sehr geduldig mit dem Kind in den Austausch zu gehen, wird es viele gesellschaftliche Regeln und Gepflogenheiten mit der Zeit erlernen.
Konsequenz
Vorhersehbarkeit und Klarheit geben Sicherheit. Auf diese einfache Formel kann das Erleben autistischer Kinder gebracht werden. Deshalb ist es bei der Erziehung wichtig, dass die Eltern sich im Vorfeld überlegen, ob sie die geforderten Verhaltensweisen immer und zu jeder Zeit durchsetzen können. Nur mit dieser Konsequenz werden die Kinder im Autismus-Spektrum Regeln und Strukturen erlernen und langfristig auch generalisieren können. Das bedeutet, dass auch die Eltern sich Klarheit über ihr eigenes Verhalten verschaffen und dieses eventuell modifizieren, um ihre Kinder entsprechend unterstützen zu können.
Aber selbstverständlich sind auch autistische Kinder einfach Kinder und können genau wie diese immer wieder einmal verwöhnt werden. Auch hier gilt es für die Eltern, eine Balance zu finden zwischen der erforderlichen klaren Linie und den Ausnahmen, die den Alltag verschönern. Eine besondere Herausforderung für die Eltern ist es allerdings, zu unterscheiden, wo diese Ausnahmen ab und zu möglich sind und wo sie unterbleiben sollten. Eine Orientierung kann hier sein, zu schauen, wie grundlegend ist das Verhalten, die Regel, die in dem Moment nicht eingehalten werden soll. Bei Basisdingen sollten Ausnahmen vermieden werden.
Und Eltern sind auch nur Menschen. Somit haben sie auch eine unterschiedliche Tagesform. Wenn es den Eltern gelingt, die erforderliche Konsequenz meistens aufzubringen, wird die Erziehung der autistischen Kinder gelingen. Dabei hilft es auch, nicht alles zu Basisdingen zu erklären, sondern genau abzuwägen, welche Dinge dazu zählen sollen. Hier gibt es keine allgemeine Regel, da das Leben in jeder Familie etwas anders abläuft und verschiedene Eltern unterschiedlichen Dingen eine jeweils andere Priorität zuordnen.
Ziele der Erziehung
Junge erwachsene Autisten, die über hervorragende kognitive Fähigkeiten oder besondere Fertigkeiten verfügen, aber kein weitgehend angemessenes Verhalten zeigen, werden nur schwer in ein soziales Umfeld und in den Arbeitsalltag integriert werden können.
Das Ziel der Erziehung ist also, dass die autistischen Kinder mit der Zeit die gesellschaftlichen Regeln und Gepflogenheiten und ein angemessenes, von der Gesellschaft toleriertes Verhalten erlernen und einüben. Dabei dürfen allerdings die besonderen Bedürfnisse auf Grund des Autismus nicht aus den Augen verloren werden. Für die Eltern bedeutet es, immer die Balance zu finden zwischen dem Einfordern von altersgemäßen Verhaltensweisen und dem gleichzeitigen Blick auf die jeweilige Tagesform des Kindes, damit Förderung ohne Überforderung gelingt. Konkrete Beispiele werden dies im Folgenden verdeutlichen.
„Hallo“ und „Tschüss“
Je jünger die autistischen Kinder sind, desto eher genügt ein Winken und später ein „Hallo“ oder „Tschüss“, wenn es um die Begrüßung und das Verabschieden geht. Wenn die Kinder älter werden, kann mit ihnen besprochen werden, dass es Situationen gibt, in der in unserer Gesellschaft ein Handschlag üblich ist. Hier können die Eltern spielerisch gemeinsam mit dem Kind herausfinden, welches Maß an Händedruck als angenehm empfunden wird.
Vielleicht gelingt dem Kind der Händedruck zunächst innerhalb der Familie, auch wenn es dort in der Regel nicht die übliche Form der Begrüßung ist. Gerade die Berührung von Personen, die Autisten nicht oder nicht gut kennen, ruft häufig großes Unbehagen hervor, weshalb sich ein Einüben innerhalb der Familie anbietet. Außerdem ist das Ertragen von Berührungen für Autisten stark von der Tagesform abhängig. Wenn bereits im Kindesalter die gängige Form der Begrüßung immer wieder eingeübt wird, gelingt es dem älter und erwachsen werdenden autistischen Kind meistens dort die übliche Begrüßungsform zu wählen und auszuhalten, wo es ihm wichtig ist, zur Gemeinschaft dazuzugehören und nicht durch abweichendes Verhalten aufzufallen.
Abstand
Von mir zu dir
Für autistische Kinder ist es schwer nachvollziehbar, warum es Menschen gibt, denen sie sich jederzeit weit nähern dürfen, während von den meisten Personen ein gewisser Abstand einzuhalten ist. Auch hier ist geduldiges und ausdauerndes Erklären der Eltern hilfreich. Nützlich kann es auch sein, den Abstand zu „bemessen“, indem die Eltern beispielsweise erklären, dass immer soviel Abstand einzuhalten ist, der der eigenen Armlänge entspricht. Dieses Maß ist immer verfügbar und wächst mit. Auch im Jugend-und Erwachsenenalter bietet es eine gute Orientierung.
Und von dir zu mir
Auch sollten die Eltern dem autistischen Kind erklären, dass es signalisieren darf, wie weit sich andere Personen ihm selbst nähern dürfen. Zudem ist es hilfreich, wenn das Kind Reaktionsmöglichkeiten erlernt, für die Fälle, in denen andere Personen ihm näher kommen als es dies möchte. Ein deutliches „Stopp“ oder „Nein“ in Wort oder Geste sollten eingeübt werden.
Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen das Kind eine Person nahe an sich heranlassen muss, auch wenn es dies vielleicht nicht möchte. Eine ärztliche Untersuchung beispielsweise kann nicht immer auf Distanz erfolgen. Hier könnte es dem Kind helfen, wenn die Untersuchung zunächst bei einem Elternteil oder beim Kuscheltier gemacht wird, damit Vorhersehbarkeit hergestellt ist.
Wir essen zusammen
Beim gemeinsamen Essen fühlen sich in der Regel alle dann wohl, wenn gewisse Tischmanieren eingehalten werden. Das gilt für Autisten und Nichtautisten gleichermaßen. Insofern sind bei den grundlegenden Regeln keine Unterschiede in der Erziehung erforderlich.
Um langfristig eine gute Integration ins soziale Umfeld zu erreichen, sollten die Eltern mit dem Kind den Umgang mit Besteck einüben, auch wenn es motorische Schwierigkeiten hat. Vielleicht kann es erforderlich sein, anfangs manche Besteckteile wegzulassen, in der Regel wird aber der Umgang hiermit im Laufe der Zeit erlernt.
Beim Essen besteht zudem noch die besondere Herausforderung des Gefühls der Lebensmittel im Mund. Dies kann so unangenehm sein, dass dem Impuls, alles wieder auszuspucken, direkt gefolgt wird. Um diese unangenehme Situation für das Kind und die anderen am Tisch zu vermeiden, könnten die Eltern mit dem Kind vereinbaren, dass es zunächst immer nur eine kleine Menge in den Mund nimmt, um herauszufinden, ob es die Speise essen mag. Zusätzlich kann eine Serviette bereitgehalten werden, in die der Inhalt des Mundes wieder ausgespuckt werden kann, sollte dies erforderlich sein.
Diese sensorischen Schwierigkeiten unterliegen auch stark der Tagesform des Kindes. Was an einem Tag als angenehm empfunden wird, kann an einem anderen nicht toleriert werden. Meistens gibt es jedoch Lebensmittel, die die Kinder gerne essen und auf die die Eltern an den schwierigen Tagen zurückgreifen können.
Bei autistischen Kindern, die gerne essen, kann dies auch die Gelegenheit sein, die Kinder behutsam an unbekannte Dinge heranzuführen. Es kann die neuen Lebensmittel zunächst anschauen, anfassen, später daran riechen und schlecken und sie schließlich probieren. Vermieden werden sollten jedoch Machtkämpfe auf diesem Gebiet, da es nicht so wichtig ist, dass das autistische Kind einen möglichst umfangreichen und abwechslungsreichen Speiseplan hat. Es gibt junge Autisten, die nur wenige Lebensmittel tolerieren. In diesen Fällen kann anhand des Blutbildes festgestellt werden, ob ein Mangel besteht. Sollte dies nicht der Fall sein, genügt es, dem Kind die Speisen aus diesen wenigen Lebensmitteln zuzubereiten und immer wieder anzubieten, auch anderes zu probieren. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Eltern ihre eigene Speisevielfalt reduzieren. Im Gegenteil: das genussvolle Essen der verschiedensten Lebensmittel und Speisen kann das autistische Kind langfristig dazu animieren, auch zu probieren.
Warum soll ich essen und trinken?
Den eigenen Körper mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen fällt vielen Autisten selbst im Erwachsenenalter schwer. Umso mehr gilt dies für autistische Kinder. Hunger und Durst werden vielleicht gar nicht wahrgenommen. Und selbst wenn die autistischen Kinder das Grummeln im Bauch oder die trockene Kehle wahrgenommen haben, besteht als nächstes die Herausforderung, das Gefühl richtig zu interpretieren und dann auch noch eine Lösung dafür zu entwickeln.
Durst – oder doch nicht?
Es ist für Kinder im Autismus-Spektrum keine Selbstverständlichkeit, dass eine trockene Kehle gleichbedeutend mit Durst ist und dieser wiederum mit einem Getränk gelöscht werden kann. Und selbst, wenn die Herstellung dieses Zusammenhanges gelingt, ist es für das Kind sehr schwer zu entscheiden, was es in dem Moment gerne trinken möchte. Alleine die Entscheidung für ein Getränk kann so anstrengend sein, dass es nicht einmal mehr weiß, warum es gerade über Getränke nachdenkt und in der Folge dann auch nichts trinkt.
Hier kann es hilfreich sein, immer ein Glas Wasser an einem festen Platz bereitstehen zu haben, so dass dieses jederzeit getrunken werden kann. Sollte das Kind anschließend immer noch den Wunsch haben, etwas zu trinken, kann gemeinsam mit den Eltern überlegt werden, welches Getränk jetzt gewünscht wird.
Sofern das autistische Kind keinerlei Gespür für Durst hat, kann die erforderliche Trinkmenge morgens bereitgestellt werden, so dass das Kind jederzeit sehen kann, wieviel es bereits getrunken hat. Für Kinder, die lesen können, gibt es auch Flaschen mit einer Skala von Uhrzeiten, an der abgelesen werden kann, bis zu welcher Zeit welche Menge getrunken sein sollte. Und für die technikaffinen Kinder werden Apps fürs Handy angeboten, die ans Trinken erinnern. Auch das kann eine gute Lösung sein.
Hunger – oder doch nicht?
Entsprechendes gilt auch für das Hungergefühl. Hier können feste Zeiten für die Mahlzeiten helfen und auch eine Verabredung darüber, welche Menge gegessen werden sollte, sofern kein Hungergefühl vorhanden ist. Beim Hunger kann auch eine Verwechslung mit Bauchweh vorliegen. Das autistische Kind kann das Grummeln im Bauch nicht richtig interpretieren und denkt dann, es habe Bauchschmerzen. In diesem Fall weigert es sich, etwas zu essen aus Sorge, diese könnten sich verschlimmern.
In solchen Fällen ist es hilfreich, wenn die Eltern beobachten, wann das autistische Kind wieviel gegessen hat, um abschätzen zu können, ob eventuell Hunger der Auslöser des Gefühls im Bauch sein könnte.
Auch ist nicht immer ein Sättigungsgefühl vorhanden. Hier ist es sinnvoll, wenn die Mengen, die das autistische Kind zu essen bekommt, von den Eltern eingeteilt werden. Selbstverständlich gilt es hier zu beachten, dass wir alle tagesformabhängig durchaus unterschiedlich große Mengen essen, aber das hält sich immer in einem Rahmen, den die Eltern bei ihrem Kind meist gut einschätzen können.
Mimik, Gestik und Körpersprache – große Rätsel
Für Menschen im Autismus-Spektrum sind die Ausdrucksweisen und Inhalte über die Nicht-Autisten mit Hilfe des Gesichtes, der Hände und Arme oder des gesamten Körpers verfügen, nur sehr schwer lesbar. Selbst starke Emotionen, die mittels der Mimik ausgedrückt werden, wie beispielsweise Freude, Wut, Trauer oder Ekel, können nicht immer sicher erkannt werden. Diese Fertigkeit lässt sich bis zu einem gewissen Grad einüben, jedoch sollte immer berücksichtigt werden, dass in Stress-Situationen auf das Gelernte nicht zuverlässig zurückgegriffen werden kann. Dasselbe gilt für die Gestik und die Körpersprache. Unterstützend ist es hier, besonders deutlich – vielleicht auch ein wenig übertrieben – mit Hilfe von Mimik, Gestik und Körpersprache mit dem autistischen Kind zu kommunizieren und dabei die Botschaft gleichzeitig kurzen klaren Sätzen zu unterstreichen.
Die Eltern eines autistischen Kindes können nicht erwarten, dass die Kommunikation mittels des Körpers verstanden wird und sollten sich daher immer vergewissern, ob die gesendete Botschaft überhaupt, vollständig und richtig bei ihrem Kind angekommen ist. Diese „Blindheit“ für die Körpersprache bleibt häufig auch im Erwachsenenalter bestehen, so dass es den Alltag erleichtern kann, wenn bereits im frühen Kindesalter begonnen wird, hier klar und vor allem erklärend zu kommunizieren.
Blickkontakt
Wo soll ich hinschauen?
Nicht-autistische Menschen verunsichert es sehr, wenn bei einem Gespräch kein Blickkontakt hergestellt wird. Für viele Autisten ist der Blickkontakt aber unangenehm und wird daher oft vermieden.
Bei jüngeren autistischen Kindern kann dieses Thema zunächst als zweitrangig eingestuft werden. Später allerdings ist es hilfreich, wenn die Eltern ihre Kinder für dieses Thema sensibilisieren. Zunächst einmal geht es nur darum, den Kindern zu erklären, dass es hier einen Unterschied gibt zwischen Nicht-Autisten und den meisten Autisten.
Die Eltern können gemeinsam mit ihren Kindern überlegen, wie der Anschein von Blickkontakt gelingen kann. Manche Autisten schauen zum Beispiel auf die Nasenwurzel, die Nasenspitze oder auf die Stirn im Bereich über der Nase. Damit die autistischen Kinder eine konkrete Vorstellung haben, könnten die Eltern sich selbst einen farbigen Punkt zum Beispiel auf die Nasenspitze malen und das Kind kann üben, im Gespräch dort hinzuschauen. Auf diese Weise kann spielerisch herausgefunden werden, welche Stelle im Gesicht des Gegenübers am liebsten angeschaut wird, um Blickkontakt zu simulieren.
Und wie lange?
Auch die Intensität und die Dauer des Blickkontaktes kann für Menschen im Autismus-Spektrum schwer einzuschätzen sein. Für Nicht-Autisten ist es unangenehm, angestarrt zu werden, während dieses „Starren“ für die Autisten die Art und Weise sein kann, den Blickkontakt halten zu können. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist es für sie, überhaupt ein Gespür dafür zu haben, wie intensiv und wie lange sie wo hinschauen. Hier könnten die Eltern zunächst mit ihren Kindern einüben, niemanden anzustarren. Es ist sicherlich eine langandauernde Übung, den Anschein von Blickkontakt zu erlernen und dann zusätzlich den Blick immer wieder schweifen zu lassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, das Gegenüber anzustarren. Auch hier ist viel Geduld und Ausdauer von den Eltern gefragt, die ihrem Kind nach und nach und immer wieder erklären sollten, wo es hinschauen kann und wie lange.
Verständnis entwickeln
Wenn die Kinder etwas älter geworden sind, kann es entlastend sein, wenn die Eltern das Umfeld darüber informieren, warum das autistische Kind den Blickkontakt vermeidet oder zu intensiv ausführt. Zu mehr Verständnis kann die Information führen, dass gerade beispielsweise das Anschauen der Wand oder des Tisches im Gespräch mit dem autistischen Kind ein Zeichen besonderer Aufmerksamkeit des Kindes sein kann. Das Kind blendet so möglichst viele Reize aus und versucht, dem Gespräch zu folgen. Gleiches gilt, wenn das Kind Antworten gibt.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: wenn keine Energie für das Aufrechterhalten des Blickkontaktes, das gleichzeitige Lesen der Mimik, Gestik und Körpersprache des Gegenübers verbraucht wird, ist es für die meisten Autisten leichter, ein Gespräch zu führen.
Tabuthemen
Dinge, die zwar richtig sind, aber für die jeweilige Person unangenehm sein können, werden in unserer Gesellschaft üblicherweise nicht im Beisein dieser Person ausgesprochen. So kann beispielsweise im Supermarkt die Äußerung: „Mama, da vorne ist eine dicke Frau.“ für die beteiligten Erwachsenen als sehr unangenehm empfunden werden. Dem Elternteil wird unterstellt, er erziehe sein Kind nicht richtig und wenn auf die Antwort, darüber spreche man jetzt nicht, die Wiederholung der Aussage erfolgt, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Aus seiner Sicht jedoch hat das autistische Kind lediglich eine Tatsache beschrieben, ähnlich der, dass Gras grün oder Regen nass ist.
Es sind viele Erklärungen und Nachbesprechungen von Situationen erforderlich, bis die Kinder im Autismus-Spektrum gelernt haben, welche Themen in welchen Situationen angesprochen werden dürfen. Hier ist von den Eltern ein hohes Maß an Geduld und Ausdauer gefragt, vor allem, weil es in dem Bereich keine starren und eindeutigen Regeln gibt.
Erschwerend kommt hinzu, dass es Themen gibt, über die normalerweise nur mit engen Vertrauten gesprochen wird, es in speziellen Situationen aber auch Fremden gegenüber richtig und wichtig ist, über diese Themen zu sprechen. Als Beispiel sei hier die Verdauung genannt. In welcher Form sie erfolgt und ob es Schwierigkeiten damit gibt, wird allenfalls innerhalb der Familie besprochen. Beim Arztbesuch jedoch kann auch eine Antwort auf eine diesbezügliche Frage erwartet werden. Und nicht immer ist das Kind beim vertrauten Kinderarzt; es kann auch Notfälle geben, wo derlei Informationen fremden Ärzten gegeben werden müssen.
Spezialinteresse
Funktion
Viele Autisten haben – zumindest zeitweise – Themen, über die sie sehr gut informiert sind und auch sehr gerne sprechen. Das Wissen ist in der Regel nicht nur umfang-, sondern auch detailreich. Auch Kinder können Spezialinteressen haben. Meistens sammeln sie alle Informationen, die für sie greifbar sind, zu einem bestimmten Thema. Manche bleiben lange Zeit bei diesem Thema, bei anderen wechseln die Themen.
Gerade das Eintauchen in die Welt des Spezialinteresses lässt autistische Kinder die häufig als schwierig erlebte Welt des Alltages vergessen. In ihrer Welt bestimmen sie die Regeln, sie können durch die Beschäftigung mit immer demselben Thema entspannen und sind bei der Ansammlung der Informationen zu ihrem Thema auf genau diese eine Aufgabe fixiert. Das alles schafft Vorhersehbarkeit und damit Sicherheit.
Umgang damit
Wenn die Eltern das Interesse ihres Kindes an einem speziellen Thema positiv begleiten, hat das Kind schon früh die Gelegenheit, eine Entspannungstechnik zu erlernen, die auch im Erwachsenenalter noch gut funktioniert.
Im Gespräch kann es passieren, dass das Kind nicht mehr zu stoppen ist und gerne möglichst viel seines Spezialthemas anderen mitteilen möchte. Dabei bemerken die autistischen Kinder häufig nicht, wann das Gegenüber nicht mehr zuhören möchte, weil es entweder schon Bescheid weiß oder weil es kein Interesse an weiteren Informationen hat. Hier ist es hilfreich, wenn die Eltern mit dem Kind einüben, dass es eine bestimmte Zeit über sein Thema sprechen kann und dann ein Signal bekommt, wann es wieder aufhören sollte. Wenn die autistischen Kinder älter sind, kann auch gemeinsam mit dem Kind überlegt werden, woran es erkennen könnte, ob der Gesprächspartner sich langweilt, weil er beispielsweise im Raum herumblickt, aufs Handy schaut oder mit den Füßen wippt. Für solche Fälle könnte mit dem Kind eine Rückfrage eingeübt werden, mit der es sich vergewissern kann, ob es weiterreden darf oder das Thema lieber gewechselt werden sollte. Hier hilft es, gemeinsam mit dem autistischen Kind eine Liste mit Themen zu erstellen, über die dann gesprochen werden kann. Vielleicht ist diese Liste anfangs als Spickzettel in der Hosentasche.
Und bei schwierigen Themen?
Eine besondere Herausforderung für die Eltern autistischer Kinder mit Spezialinteresse ist das Thema. Es mag nicht jeden interessieren, einem Vortrag über den Inhalt eines Telefonbuches oder den speziellen Lebensformen der Ameisen zuzuhören. Wenn es allerdings um Themen geht wie beispielsweise die Funktion der Darmbakterien oder das Sezieren von Insekten, könnten diese Ausführungen nicht nur zu Ablehnung, sondern eventuell auch zu heftigen Reaktionen führen. Diese Reaktionen sind für die autistischen Kinder nicht nachvollziehbar, berichten sie aus ihrer Sicht doch lediglich über Fakten. In solchen Fällen sollte mit den Kindern im Autismus-Spektrum vereinbart werden, wann und wo sie über ihre Spezialthemen sprechen dürfen.
Fazit
Spezialinteressen sind sinnvoll und dienen der Entspannung und dem Abtauchen aus unserer nicht-autistischen Welt. Wenn das autistische Kind mit der Zeit lernt, Gesprächssituationen immer besser einzuschätzen, kann das Sprechen über Spezialthemen eine Bereicherung für alle Beteiligten sein. Unabdingbar ist allerdings auch, Themen bereitzuhalten, über die jederzeit gesprochen werden kann.
Überforderung – von Anfang an
Die mit dem Autismus einhergehenden Wahrnehmungsbesonderheiten können zu Situationen führen, die den Autisten überfordern. Sobald sich Anzeichen einer derartigen Überforderung zeigen, sollte eine Möglichkeit gesucht werden, die Situation zu verlassen. Für Außenstehende sind die Anzeichen nicht immer ersichtlich und das Verhalten der Eltern wird vielleicht kritisiert, weil es den Anschein erweckt, das Kind aus einer für es selbst angenehmen Situation herauszureißen. Kurzfristig ist es wichtig, dem Kind die Gelegenheit zu geben, sich zu entspannen, um einen Aus- oder Zusammenbruch zu vermeiden. Längerfristig sollte das Kind lernen, die Anzeichen bei sich selbst immer besser wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
Sollte es zu einer Überforderungsreaktion des Kindes kommen, wie beispielsweise schreien oder aber auch immer stiller werden, hilft es, die Situation sofort zu verlassen und dem Kind ausreichend Zeit zu geben, sich zu beruhigen. Ob eine Rückkehr in die Ausgangssituation möglich ist, sollte gründlich abgewogen werden.
Herausforderndes Verhalten
In der akuten Situation
Kinder im Autismus-Spektrum können immer wieder extreme Verhaltensweisen zeigen, die das Umfeld stark herausfordern können. Derartige Situationen sind sowohl für die autistischen Kinder als auch für die Eltern und das Umfeld schwierig. Alle Beteiligten befinden sich von einem Moment auf den anderen in einer Stress-Situation.
Auch wenn die Eltern in solchem Momenten nichts lieber hätten, als dass das Kind sein Verhalten sofort beendet, wird dies in der Regel nicht geschehen. So schwer es fällt, ist es wichtig, dass es den Eltern gelingt, den eigenen Stress hintenanzustellen und nach außen hin ruhig zu bleiben. Hier hilft der Gedanke, dass das autistische Kind in dem Moment ein großes Problem hat und nur noch den einen Weg der Kommunikation über das herausfordernde Verhalten findet. Als Sofortmaßnahme sollte das Kind so ruhig und gleichzeitig so schnell wie möglich aus der Situation in eine ruhig(ere) Umgebung gebracht werden.
Und längerfristig
Die meisten autistischen Kinder sind in derartigen Situationen nicht für Sprache empfänglich. Die Eltern sollten also nicht versuchen, mit dem Kind zu sprechen. Es reicht, zu einem deutlich späteren Zeitpunkt, wenn das Kind sich wieder beruhigt hat, über die Situation und das Verhalten des Kindes zu sprechen. In manchen Fällen hat das Kind eine Erklärung für den Auslöser des Verhaltens, in anderen nicht. Auch wenn das autistische Kind (noch) nicht sagen kann, warum es sich so verhalten hat, ist es hilfreich, wenn die Eltern versuchen herauszufinden, was das Kind mit seinem Verhalten „sagen“ möchte. In der Regel gibt es eine Ursache, einen Grund für ein derartiges Verhalten und sofern diese Ursache nicht gefunden wurde, sind Versuche, das Verhalten zu verbieten, meist nutzlos. Die Herausforderung für die Eltern und das Umfeld besteht hier darin, geduldige Ursachenforschung zu betreiben und auch im Gespräch mit dem Kind zunächst alles als einen Hinweis zu betrachten. Oftmals werden diese Hinweise nur in kleinen Teilen oder zeitlich sehr verzögert gegeben, weil das Kind nicht in der Lage ist, alles (gleich) zu benennen. Mit der Zeit entwickelt sich ein Bild und dann kann versucht werden, künftig Abhilfe zu schaffen oder andere Lösungsstrategien für derartige Situationen zu entwickeln.
Stimming – von Kindesbeinen an
Was ist das?
Es kann für die Umgebung sehr anstrengend sein, wenn ein autistisches Kind immer wieder herumrennt, mit den Fingern schnippt, blubbert wie eine Thermoskanne oder wenn alle T-Shirts und Pullover am oberen Bündchen durchgeknabbert sind. Dabei ist das Kind auf dem besten Weg, ein wichtiges Verhalten zu lernen, um mit den Auswirkungen des Autismus besser zurecht zu kommen.
Stimming ist eine Abkürzung und bedeutet „self-stimulating Behaviour“, wörtlich übersetzt „selbst-stimulierendes Verhalten“. Beim Stimming werden Bewegungen, Geräusche, Laute oder Worte wiederholt, es kann auch immer wieder an einem Gegenstand gerochen werden oder etwas Bestimmtes angeschaut oder ertastet werden.
Mit Stimming versuchen autistische Kinder entweder, auf zu viele Reize zu reagieren und sich damit herunterzuregulieren. Oder ein zu niedriges Reizniveau anzuheben. Es geht also um das Erreichen eines als subjektiv empfundenen angenehmen Zustandes oder um die Fokussierung auf etwas Bestimmtes.
Beispiele
Beispiele für Stimming sind Flattern mit den Händen, Fingerschnippen, Klatschen, Trommeln mit Fingern oder Füßen, Schaukeln, Drehen von Gegenständen, Anschauen rotierender Gegenstände oder bestimmter Muster, Drücken eines Stressballes, Kauen auf Gegenständen, Umherrennen, Trinken von eiskaltem Wasser, schnelles Wiederholen von Lauten oder Wörtern, sich unter (schwere) Gegenstände legen, sich in enge Nischen setzen und vieles mehr.
Ist Stoppen sinnvoll?
Stimming hat immer eine Funktion. Deshalb ist es nicht sinnvoll, es zu unterbrechen, zu stoppen oder gar zu verbieten. Gemeinsam mit dem Kind sollte versucht werden, eine Form des Stimmings zu verwenden, die die Umgebung gut tolerieren kann. Fingerschnippen, das schnell wiederholte Drücken auf den Knopf des Kugelschreibers, mit dem die Mine herein- und herausgelassen werden kann, Herumrennen oder das Machen von Geräuschen sind nicht in jeder Umgebung angebracht.
Hier können andere Formen gefunden werden, wie beispielsweise das Drücken eines Taschentuches oder Stressballes, der in der Hosentasche unauffällig mitgenommen werden kann. Oder das Rückwärtszählen nur im Kopf. Oder das Spielen mit einem Gegenstand, der so leise Geräusche macht, dass sie nicht störend sind. Wenn es um akustisches Stimming geht, könnte die Lösung im Tragen von Kopfhörern liegen, über die dann die Geräusche oder die Musik gehört werden können, die als angenehm empfunden werden. Anstatt Herumzulaufen könnte vielleicht das Bewegen der Zehen in den Schuhen genügen. Um dem Impuls, auf etwas zu kauen nachzugeben, könnten Möhrenstifte oder Äpfel griffbereit sein.
Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, die Funktion des Stimmings für die autistischen Kinder zu erkennen, sie anzuerkennen und eine für alle verträgliche Form zu finden.
Ein wertvolles Instrument
Stimming ist für Menschen im Autismus-Spektrum jeden Alters, also auch für autistische Kinder eine Möglichkeit zur Selbstregulierung. Die Eigenwahrnehmung wird dadurch verbessert, dass immer mehr Situationen erkannt werden, in denen eine Regulation mit Hilfe von Stimming zur Entlastung oder Fokussierung beiträgt. Somit ist Stimming ein wertvolles Instrument, um mit den Auswirkungen des Autismus in dieser Welt besser zurecht zu kommen.
Lob und Konsequenzen
Lob
In gängigen Erziehungsratgebern und auch in Empfehlungen des Umfeldes wird häufig geraten, Kinder zu loben. Hier ist bei Kindern im Autismus-Spektrum ein genaueres Hinsehen erforderlich. Wenn das Kind sich über ein Lob freut, ist dies sehr positiv und die autistischen Kinder können selbstverständlich gelobt werden. Dabei sollte das Lob unmittelbar erfolgen, so dass das Kind den direkten Zusammenhang erkennen kann. Ein Lob am Abend, das dem Kind gegenüber ausgesprochen wird, „weil es so lieb war“, kann vom autistischen Kind nicht mehr in Verbindung mit seinem Verhalten gebracht werden. Es wird weder das gelobte Verhalten wiederholen noch kann es sich über das Lob freuen, weil der Bezug zum gelobten Verhalten nicht mehr vorhanden ist.
Es gibt aber auch Kinder, die sich nicht freuen können, wenn sie gelobt werden. Im Gegenteil, sie reagieren vielleicht gereizt oder verärgert. Dies könnte daran liegen, dass das Kind erleichtert ist, eine bestimmte Sache bewältigt zu haben. Damit ist der Vorgang abgeschlossen. Durch ein Lob können die Anstrengung, die eventuell vorhandenen Ängste und andere als negativ erlebten Gefühle wieder ins Bewusstsein gelangen und werden vom Kind nochmals durchlebt. Das bedeutet Stress und ist unangenehm, weshalb die Kinder dann ablehnend auf das Lob reagieren. In solchen Fällen ist es hilfreich, auf das Lob in der entsprechenden Situation zu verzichten. Vielleicht könnte abends vor dem Schlafengehen im Gespräch zum Kind allgemeiner gesagt, werden, wie sehr die Eltern sich freuen und stolz auf das Kind sind, weil es den Tag über ganz viele Dinge gut bewältigt hat oder etwas Schönes gemalt oder gebastelt hat. Wenn das Kind das Thema dann vertieft und auf eine bestimmte Aktivität eingeht, kann das Gespräch hier konkretisiert werden und ein Lob ausgesprochen werden. Auf diese Weise hat das Kind die Kontrolle darüber, in welcher Intensität über die einzelnen Dinge gesprochen wird.
Konsequenzen
Immer wieder sind im Alltag verschiedene Dinge in einer bestimmten Reihenfolge zu erledigen. So sind beispielsweise vor dem Verlassen des Hauses geeignete Schuhe und eventuell eine Jacke anzuziehen. Wenn zum Beispiel ein Zoobesuch geplant ist, den das autistische Kind sich gewünscht hat, müssen vor dem Losgehen die Schuhe angezogen werden. Hat das Kind an diesem Tag besondere Schwierigkeiten, die Schuhe an den Füßen zu ertragen, wird es sie nicht anziehen, auch nicht, um in den Zoo gehen zu können. Der Zoobesuch rückt vollständig in den Hintergrund und ist nicht mehr wichtig, wenn etwas so Unerträgliches wie das Anziehen und Tragen der Schuhe vorher erfolgen muss.
Es hilft hier auch nicht, dem Kind die Schuhe einfach anzuziehen und in den Zoo zu fahren, weil das autistische Kind mit dem unangenehmen Gefühl an den Füßen beschäftigt sein wird und es zumindest fraglich ist, ob es den Zoobesuch dann überhaupt wahrnehmen und genießen kann. Das Kind wird es in der Regel auch nicht als Strafe erleben, nicht in den Zoo gekommen zu sein, weil der Gewinn, keine Schuhe tragen zu müssen, alles überwiegt.
Es ist zumindest schwierig, in manchen Fällen auch nicht möglich, ein bestimmtes Verhalten dadurch zu erreichen, dass ein positives Erlebnis gleichsam als Belohnung folgen wird. Sofern zwischen den Eltern und dem autistischen Kind hier aber Vereinbarungen getroffen werden können, wie beispielsweise die Verknüpfung der Erledigung der Hausaufgaben mit dem Gewähren von Computerzeit, kann dies ein guter Weg sein. Es eröffnet auch älteren Kindern im Autismus-Spektrum die Perspektive, als unangenehm empfundene Aufgaben zu erledigen, wenn sie gelernt haben, dass sie später etwas Schönes und Angenehmes machen dürfen.
Wenn die autistischen Kinder älter werden, setzen sie sich manchmal auch selbst Ziele. Um diese zu erreichen, werden dann auch unangenehme Situationen ausgehalten und unbeliebte Aufgaben erledigt. So könnte es ein Ziel sein, einen angestrebten Beruf ausüben zu können. Dafür ist im ersten Schritt der Schulabschluss erforderlich. Und auf dem Weg zum Schulabschluss werden dann auch die Unterrichtsfächer bewältigt, die unangenehm, vielleicht unverständlich sind und in denen es schwerfällt, Leistungen zu erbringen. Es kann hier ein Ziel sein, eine Note zu erreichen, die den Schulabschluss nicht gefährdet.
Eins nach dem anderen
Beim Einüben von Verhaltensweisen und Regeln sind autistische Kinder überfordert, wenn gleichzeitig verschiedene Themen angegangen werden. Es ist sinnvoller, erst ein Verhalten oder eine Regel sicher zu lernen und dann die nächste Schwierigkeit oder Herausforderung anzugehen. Wenn die Anforderungen zu Beginn so gestellt werden, dass das Kind sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllen kann, führt dies zu einem Erfolgserlebnis. Sobald dieses Anforderungsniveau eine längere Zeit erfüllt werden kann, kann es im nächsten Schritt leicht erhöht werden. Wichtig ist hierbei, dass möglichst häufig Erfolgserlebnisse für das Kind erreicht werden.
Zu Beginn kann es erforderlich sein, dass die Eltern ihrem Kind Hilfestellung geben. Dies ist sinnvoll, sollte im Laufe der Zeit jedoch immer mehr reduziert werden, so dass das Kind in die Lage versetzt wird, alleine zu agieren. Sobald sichergestellt ist, dass das Kind ein bestimmtes Verhalten erlernt hat oder über eine Fertigkeit verfügt, sollte dies von den Eltern eingefordert werden, auch wenn das Kind länger braucht und es den Eltern schwerfällt, diese längere Zeitspanne in den Alltag zu integrieren.
Dabei darf von den Eltern nicht übersehen werden, dass bei autistischen Kindern ihr Vermögen, Dinge zu tun und Regeln zu befolgen, von der Tagesform abhängig ist. An „schlechten Tagen“ sollte die Unterstützung gegeben werden, die das Kind an diesem Tag braucht, um sein Ziel zu erreichen.
Lernen aus Erfahrung
Ein Lernen aus Erfahrung ist für Kinder im Autismus-Spektrum zumindest schwierig. Ein Beispiel mach dies deutlich: Ein autistisches Kind geht im Winter trotz Ermahnung nur mit dem T-Shirt bekleidet längere Zeit nach draußen. In der Folge hat es einen Schnupfen. Die Erklärung, dass es sich den Schnupfen geholt hat, weil es zu dünn angezogen war, wird das Kind zwar hören, aber es folgen meist keine Handlungskonsequenzen, weil das Kind im Autismus-Spektrum nicht generalisieren kann.
Das bedeutet, dass die autistischen Kinder Situationen, die Nicht-Autisten als identisch bezeichnen würden, wie beispielsweise ein kalter Wintertag, jedes Mal neu erleben und einordnen. Es wird keine zwei Tage geben, an denen zu einem bestimmten Zeitpunkt Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windstärke und -richtung exakt gleich sind. Aus Sicht des autistischen Kindes gibt es also ausschließlich unterschiedliche Wettersituationen. Wenn nun bei einer dieser Wettersituationen keine Jacke getragen wurde und ein Schnupfen die Folge war, kann für das Kind nicht daraus geschlossen werden, dass an Tagen mit ähnlichen Wetterverhältnissen auch eine Jacke getragen werden sollte.
Hier kann es hilfreich sein, Pläne mit Temperaturen und Niederschlägen zu erstellen, aus denen abgelesen werden kann, welche Kleidung angemessen ist. Wenn hier im Zweifelsfall zu wärmerer Kleidung gegriffen wird, die im Zwiebelprinzip getragen wird, können später Korrekturen vorgenommen werden.
Stärken stärken
Der Alltag mit einem autistischen Kind zeigt den Eltern immer wieder sehr deutlich, in welchen Bereichen (noch) Defizite vorhanden sind. Die Eltern wünschen sich häufig eine Bewältigung dieser Defizite, damit das Kind gut durchs Leben kommen wird. An Stellen, an denen eine professionelle Unterstützung sinnvoll und zielführend ist, sollte diese gewählt werden.
Auch nicht-autistische Kinder haben Schwächen und Defizite, auch nicht-autistische Erwachsene sind nicht rundum perfekt. Bei ihnen liegt der Fokus der Beurteilung allerdings nicht die überwiegende Zeit auf genau diesen Schwächen und Defiziten. Wir alle haben gelernt, mit unseren Schwächen zu leben. Es ist ganz normal, nicht alles zu können und sich nicht auf jedem Gebiet gleich gut auszukennen. Diese Vielfalt ist entlastend für den einzelnen und in der Gemeinschaft finden sich in der Regel Lösungen für anstehende Probleme.
Wenn den Eltern dieser Perspektivwechsel auch im Blick auf das autistische Kind gelingt, treten die Stärken und besonderen Begabungen dieses Kindes in den Vordergrund. Dann kann nach Wegen gesucht werden, diese Stärken und Begabungen auszubauen. Es gilt, nicht den Eindruck zu vermitteln, das Kind bedürfe dauernder Therapie oder Übungen, weil etwas nicht in Ordnung ist mit ihm. Das Wahrnehmen der Besonderheit der autistischen Kinder kann für die Eltern dabei hilfreich sein, sich zu freuen, mit den Kindern diesen Weg zu gehen und einen Blick in ihre ganz besondere Welt werfen zu dürfen.
Jeder Weg beginnt mit kleinen Schritten
Zusätzlich zu dem, was „normale“ Kinder beim Aufwachsen lernen, müssen Kinder im Autismus-Spektrum noch vieles erlernen, um sich nicht selbst dadurch auszugrenzen, dass sie mit ihrem Verhalten andere vor den Kopf stoßen. Beim Erlernen der Regeln und Normen, die in unserer Gesellschaft nun einmal gelten, ist selbstverständlich darauf zu achten, was in welchem Alter angemessen ist. Es dürfen aber auch Verhaltensweisen, die von der Gesellschaft oder dem Umfeld des autistischen Menschen „einfach“ erwartet werden, daraufhin überprüft werden, in welcher Form sie einerseits angemessen sind und vom Umfeld toleriert werden können und sie andererseits vom Autisten auch bewältigt werden können.
Ein Beispiel macht dies deutlich: es ist hierzulande üblich, sich bei der Begrüßung die Hände zu schütteln, manchmal gefolgt von einer Umarmung oder ersetzt durch diese. Vielen Autisten ist dies unangenehm. So könnte zunächst ein kontaktloses „Hallo“ oder „Guten Tag“ mit dem autistischen Kind eingeübt werden und wenn dies gut gelingt, in einem weiteren Schritt ein kurzes Händeschütteln. Wenn ein autistischer Jugendlicher allerdings als Begrüßung „Ey, Alter!“ wählt, ist das für Gleichaltrige angemessen und wird auch akzeptiert. Bei Lehrern oder Großeltern hingegen könnte zwar von einer Begrüßung gesprochen werden, jedoch nicht von einer angemessenen oder einer, die die Angesprochenen tolerieren müssten.
Die Erfahrung zeigt, dass es älteren Kindern im Autismus-Spektrum häufig gelingt, derartige Rituale zu erlernen, wenn sie begreifen, dass sie mit einer den Regeln entsprechenden Begrüßung als zugehörig zu der jeweiligen Gruppe gesehen werden. Sie verstehen, dass sie dadurch nicht vom ersten Moment an als anders auffallen und somit vielleicht dazugehören können. Eine Umarmung jedoch kann bei jeder Begrüßung vermieden werden, wenn sie dem Menschen im Autismus-Spektrum unangenehm ist.
Der Weg ist lang und manchmal werden die Eltern autistischer Kinder den Eindruck haben, zuviel zu verlangen. Solange es den Eltern gelingt, die Gratwanderung zwischen fordern, fördern und überfordern zu meistern und solange sie ihrem Kind immer wieder zeigen, dass es von den Eltern geliebt und unterstützt wird, wird sich dies positiv auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken. Erwachsene Autisten können im Rückblick oft verstehen, warum die Eltern bestimmte Dinge mit ihnen eingeübt und eingefordert haben, auch wenn das in der jeweils aktuellen Situation für die Kinder nicht nachvollziehbar ist.
Eltern autistischer Kinder können nicht abwarten, bis ihre Kinder soziale Regeln „von alleine“ begreifen und dann auch noch einhalten, da ungewiss ist, ob dieser Zeitpunkt überhaupt kommen und wann er erreicht sein wird. Mit dem geduldigen, permanenten Erklären und Einüben von Verhaltensmustern und -strukturen, die gesellschaftlich akzeptiert sind, wird auch das autistische Kind nicht am Rand der Gemeinschaft stehen oder gar von ihr isoliert werden, sondern ein bereichernder Teil dieser Gemeinschaft sein.